6. DIE HÜLLKURVE (ENVELOPE)
In der Natur Klänge nicht konstant ab. Sowohl die Lautstärke-Verlaufsform als auch der
Obertongehalt variieren mit der Zeit - das verleiht einem Sound bestimmte klangliche
Eigenschaften und macht so die verschiedenen Klänge für uns identifizierbar. Ein Klang
wird von einem Körper erzeugt, der durch eine Aktion in Schwingung versetzt wird
(normalerweise durch Blasen, Biegen, Zupfen oder Aufschlagen auf den vibrierenden
Körper). Einige Verlaufsphasen lassen sich in fast allen Klängen leicht identifizieren:
1.
Die frequenzreiche Attack-Phase beginnt, sobald eine bestimmte Aktion etwas in
Vibration versetzt (es ist letztendlich diese Vibration, die den Klang erzeugt). Sie
verläuft unterschiedlich, basierend auf dem physischen Körper, der in Vibration
versetzt wird sowie der Beschaffenheit des Resonanz-/Verstärkungskörpers, mit
dem der Vibrationskörper verbunden ist – das kann auch einfach die Luft sein.
2.
Die Decay-Phase, in der die anfängliche schwingungerzeugende Energie
verschwindet und die Wellenform abfällt. In dieser Phase "verblassen" viele
Obertöne und nur wenige bleiben weiterhin in Schwingung. In der Decay-Phase
ändert sich das Timbre des Sounds am meisten, bis eine Stabilisierung erreicht
ist. Diese Phase verläuft gewöhnlich exponentiell, mit einem schnelleren Abfall
am Anfang, der sich dann progressiv verlangsamt.
3.
Die Sustain-Phase (Halte-Phase), die abhängig von der Art des vibrierenden
Körpers und der zur Erzeugung der Schwingung verwendeten Aktion mal
vorhanden ist oder auch nicht. In dieser Halte-Phase bleiben die Anzahl und
die Art der Obertöne mehr oder weniger stabil, obwohl man manchmal eine
gewisse Bewegung in dieser Phase wahrnehmen kann. Das führt zu einer Art
"Wellenbewegung", die als Tremolo oder Vibrato bezeichnet wird – zwei
verschiedene klangliche Phänomene, die ähnlich klingen.
4.
Die Release-Phase, die je nach Schwing- und Resonanzkörper länger oder kürzer
sein kann. Sie ändert den Verlauf, aber letztendlich klingt die Schwingung so
stark ab, dass man sie nicht mehr hören kann. In vielen Sounds sind die Decay-
und Release-Phasen als ein langes Segment verbunden und besitzen kein
Sustain. Das gilt zum Beispiel für alle gezupften Saiten, für das Klavier oder für
jedes Mallet-Instrument (Schlagspiele).
All diese Verlaufs-Phasen finden innerhalb der Klangdauer statt und können länger oder
kürzer sein, abhängig von der Art des Klangs (vibrierender Körper) und wie dieser erzeugt
wird.
Als in der Mitte der 1960er Jahre die ersten Synthesizer auftauchten, war der Hüllkurven-
Verlaufsgenerator eines der ersten enthaltenen Module.
Es war Vladimir Ussachevsky, der Robert Moog die Idee lieferte, den Envelope Generator
(Hüllkurvengenerator) zu bauen. Damit sollte einem Klang über den Zeitverlauf eine
dynamische Kontur verliehen werden, so dass synthetische Klängen ihren natürlichen
Pendants nahekommen konnten. Die beiden legten sogar fest, dass die vier oben
beschriebenen wichtigen Phasen eine Art Standard wurden. Schliesslich gab der Hersteller
ARP dem Kind einen Namen, welches zum Synonym für den Envelope Generator wurde:
ADSR - die Anfangsbuchstaben von Attack, Decay, Sustain und Release.
In den ersten modularen Moog-Systemen wurde die Hüllkurven-Phase mit T1 (für die Attack-
Phase), T2 (für die Decay-Phase) sowie T3 (für die Release-Phase) bezeichnet und eine
vierte spezielle "Zusatz-Kontrolle" mit dem Namen Esus (abgeleitet von Envelope Sustain)
versehen, wodurch dieses Segment auch von den anderen tempobezogenen Phasen
unterschieden wurde.
So wurde der Hüllkurvengenerator von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil innerhalb
eines Synthesizers. Normalerweise besaßen die Modular-Systeme, die ja die ersten
Synthesizer darstellten, mehrere Hüllkurvengeneratoren. Nicht alle von ihnen waren jedoch
als ADSR ausgelegt, einige waren einfacher aufgebaut (Bauteile waren damals nicht günstig
und alles wurde in Handarbeit zusammengesetzt; je komplexer eine Schaltung, desto teurer
wurde also das Ganze). Deshalb gab es manchmal nur eine einfache AD (Attack und
Decay)-Hüllkurve.
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Arturia - Bedienungsanleitung Filter SEM - Die Hüllkurve (Envelope)