Analogik
Vor mehr als zwei Jahrzehnten schon - so wollten es die Propagandisten des neuen
Mediums Compact Disc - hatte die Schallplatte ausgedient. Die Zahl verkaufter Schallplatten
nahm von Jahr zu Jahr ab, die der CDs zu, bis scheinbar nunmehr ewig Gestrige und Nostal-
giker mit unerklärlichem Aufwand ihre Schallplattensammlungen pflegten und ergänzten und
noch immer keinen CD-Spieler hatten. Ja, obendrein behaupteten diese, ihr Plattenspieler
mache mehr Musik ... und ernteten manch mitleidiges Lächeln.
Doch parallel zu dieser Entwicklung geschieht Bemerkenswertes - und der belächelte
Schallplattenliebhaber und überzeugte Analogfan formuliert nicht ohne Häme:
„ Der vorgeblich bereits im Jahre 1980 perfekte CD-Spieler wird ständig verbessert – und
zum Maßstab dieses Strebens wird die Musikwiedergabe guter analoger Plattenspieler, aber
nicht nur diese. Wurden zur Demonstration der Unempfindlichkeit von Compact Discs bei
öffentlichen Vorführungen schon einmal CDs ins erstaunte Publikum geworfen, so hat sich
heute die Erkenntnis breit gemacht, dass sie ähnlich sorgsam behandelt werden wollen wie
Schallplatten, ja, mehr noch - entmagnetisiert, tiefgekühlt, angemalt oder gar angeschliffen
und mit Auflagen versehen erst richtig klingen sollen. Eine Ähnlichkeit oder Übereinstimmung
mit lebenden Plattenwaschmaschinen, Pucks, Plattentellerauflagen und Nadelreinigern ist
rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Machten die ersten CD-Player scheinbar noch in jeder Lebenslage und auf jedem Unter-
grund perfekt Musik, so erhielten ihre Nachfahren neben ständig verbesserten
Digital/Analogwandlern immer aufwendigere Gehäuse, Bedämpfungen und - ein Schelm, wer
Böses dabei denkt - Subchassislaufwerke oder Riemenantriebe.
Nahezu unerschwinglich teure CD-Laufwerke mit separaten Digital/Analogwandlern werben
für sich mit der Aussage, nun - endlich - so zu klingen wie die besten Plattenspieler. Doch
das Unbehagen, das sich in Sachen CD im Lauf der Jahre eingeschlichen hat, scheint
geblieben. Neue Digitalformate - wie SACD und DVD - drängen auf den Markt und sollen
nun erreichen, was vor zwanzig Jahren bereits versprochen wurde: „Die SACD hat einen bis
zu 64 Mal so großen Übertragungsbereich wie die CD. Dadurch ergibt sich eine Feinheit des
Signals, die der Analogtechnik entspricht." (dpa/dwe, 14.11.2001)".
Die Bewertung von Speicherverfahren, die mit Datenreduktion arbeiten, halten wir vor die-
sem Hintergrund für schlicht verzichtbar. Rational an dieser neuesten Stufe der Entwicklung
digitaler Musikspeichermedien, die nicht den Übertragungsbereich, sondern die Abtastrate
vergrößert, ist die Einsicht, dass man die Quantität und Qualität musikalischer Information
aus der Schallplattenrille erheblich unterschätzt hat, das Neue also - wieder einmal - nicht
automatisch das Bessere war. Im Zeitalter der permanenten Ankündigung von technischen
Sensationen und Revolutionen bilden wir eine Analogie: High End Audio wird nicht jeden
Monat neu erfunden. Beharrliche, konsequente Weiterentwicklung und Innovation in
kleineren und größeren Schritten - maßgeblich vor der Markteinführung - definieren für uns
High End als letzten Stand der Dinge.
Was nun – alle CDs verkaufen, so wie einst leider die Schallplattensammlung ? - Vielleicht
hilft die Betrachtung weiter, dass Tonträger und ihre - kunstvolle - Verpackung mehr sind als
nur technische, austauschbare Konserve. Die Rede ist von Kulturgütern und Zeitdokumen-
ten, die gerade aus der individuellen Biographie nicht wegzudenken sind. In dieser Hinsicht
hat die Schallplatte den Beweis ihrer - auch technischen - Langlebigkeit als Konserve bereits
erbracht, der der CD steht noch aus. Da ist doch beruhigend, dass sich im Jahre 2001 die
Zahl der verkauften Schallplatten gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hat (dpa/dwe,
14.11.2001).
Letzteres macht zugleich Hoffnung auf ein weiteres kreatives Nebeneinander, dem wir - ne-
ben dem konservativen Aspekt - das Wort reden wollen. Denn so wie der Versuch der CD,
die Schallplatte endlich und endgültig zu beerben, zu immer besseren CD-Playern geführt
hat, auf die schon angesichts der vorhandenen Software nur wenige ernstlich verzichten
können und wollen, so hat die Konkurrenz des neuen Mediums die analoge Schallplatten-
wiedergabe noch einmal beflügelt und auf ein – zu den Glanzzeiten des „alten" Tonträgers –
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